Warum 'Crowd­fun­ding' keine 'Schwarm-Finanzierung' ist

Regel­mä­ßig stol­pere ich über den seltsam-holprigen Begriff 'Schwarm­fi­nan­zie­rung', der offen­bar eine Art deut­sche Über­set­zung für 'Crowd­fun­ding' dar­stel­len soll. Das ist aber nicht nur falsch über­setzt, sonder begüns­tigt zudem auch noch eine fal­sche, eher ungüns­tige Her­an­ge­hens­weise an das Themas 'Crowd­fun­ding'!

Dazu 3 Dinge:

1. Die 'Crowd' ist kein 'Schwarm'

Ein 'Schwarm' ist eine rie­sige Ansamm­lung von Wesen, die alle ein gemein­sa­mes Ziel haben - oft die gemein­same Fort­be­we­gung an einen ande­ren Ort - und deren Aktio­nen des­halb gleich­ge­schal­tet sind. Die Koor­di­na­tion der Aktio­nen erfolgt schein­bar mühe­los und wirkt von außen im Ganzen intel­li­gent (Stich­wort: Schwarm­in­tel­li­genz). Mit­glie­der eines Schwarms ver­fol­gen KEINE eige­nen Ziele. Per­sön­li­che Bedürf­nisse werden den Zielen des Schwarms hint­an­ge­stellt. In einem Schwarm gibt es im Gegen­satz zu einer Herde keine Leader, Trend­set­ter, Multiplikatoren...

Eine 'Crowd' hin­ge­gen ist eine Ansamm­lung von Indi­vi­duen, die (zunächst) kein gemein­sa­mes Ziel haben müssen. Die indi­vi­du­el­len Ziele können sich sogar ent­ge­gen­ste­hen, per­sön­li­che Bedürf­nisse können für die ein­zel­nen deut­lich Vor­rang haben gegen­über den Bedürf­nis­sen der ande­ren Mit­glie­der der Crowd. Eine Crowd ver­hält sich im Gegen­satz zum Schwarm als Ganzes nicht zwangs­läu­fig intel­li­gent, son­dern chao­tisch; und ist des­halb schwe­rer bere­chen­bar oder gar steu­er­bar. In einer Crowd kann eine Hier­ar­chie bestehen. Ein­zelne Indi­vi­duen können ihre Peer (und damit die gesamte Crowd) in Bewe­gung setzen - ODER auch brem­sen! All diese Fak­to­ren sind im Hin­blick auf Crowd­fun­ding von enor­mer Bedeutung!

Das Wort 'Crowd' mit 'Schwarm' zu über­set­zen, ist im Kon­text Crowd­fun­ding grob falsch. Es impli­ziert die ungüns­tige, aber weit ver­brei­tete Vor­stel­lung, bei der Crowd han­dele es sich um eine 'anonyme Masse', die leicht zu 'ködern' ist (wie Fische), da die Koor­di­na­tion der Aktio­nen (wie in einem Schwarm) bereits von selbst funk­tio­niert. Die Masse soll ein­fach nur 'Geld raus­rü­cken', damit wir unser Pro­jekt ver­wirk­li­chen können. Das ist beim Crowd­fun­ding aller­meis­tens nicht der Fall - wer so mit der Crowd kom­mu­ni­ziert, muss sich nicht wun­dern, wenn's nicht klappt!

Tat­säch­lich muss man die indi­vi­du­el­len Ziele der Crowd­mit­glie­der erkun­den, Bedürf­nisse anspre­chen oder gar wecken, ein gemein­sa­mes Ziel schaf­fen (das die Ein­zel­nen jedoch aus unter­schied­li­chen Moti­ven ver­fol­gen) und die Crowd invol­vie­ren!
Dazu kommt, dass eine Crowd (im Gegen­satz zum Schwarm) über dezen­trale Resour­cen ver­fügt - Wissen, Erfah­run­gen, Ideen, Inspi­ra­tion, Kon­takte... - die gemein­sam ange­wen­det ihre Wir­kun­gen mul­ti­pli­zie­ren. Die Crowd ist hier tat­säch­lich mehr als die Summe der ein­zel­nen Teile. (Stich­worte:  Crowd­sour­cing, Kol­lek­tive Intel­li­genz)

Die Crowd im Kon­text Crowd­fun­ding muss (im Gegen­satz zum Schwarm) für die aller­meis­ten Kam­pa­gnen von außen auf das Kam­pa­gnen­ziel gelenkt werden. Dazu müssen Mul­ti­pli­ka­to­ren, Trend­set­ter und Early Adop­ters erkannt und akti­viert werden.

2. 'Fun­ding' ist
nicht nur 'Finan­zie­rung'

Auch das eng­li­sche Wort 'fun­ding' ist hier unscharf über­setzt. Es heißt eigent­lich auch 'Bereit­stel­lung von Mit­teln' - und die muss nicht mone­tär erfol­gen - ganz beson­ders im Kon­text 'Crowd­fun­ding'.

Fun­ding is the act of pro­vi­ding resour­ces, usually in form of money (finan­cing), or other values such as effort or time (sweat equity)

CF-Platformen behaup­ten ja gerne, beim Crowd­fun­ding gehe es um mehr als nur Geld. Und tat­säch­lich flie­ßen bei den meis­ten Kam­pa­gnen zusätz­lich auch jede Menge 'posi­ti­ver Ener­gie' (Mut machen, Lob,...), hilf­rei­che Tips und krea­tive Ideen von der Crowd in ein Pro­jekt ein.
Auch Arbeits­kraft oder mate­ri­elle Unter­stüt­zung in Form von Natu­ra­lien oder Aus­lei­hen von Tech­nik ist als Bereit­stel­lung von Mit­teln zu betrach­ten.
Das eng­li­sche 'fun­ding' schließt diese geld­wer­ten Mittel mit ein, die deut­sche 'Finan­zie­rung' nicht.

Durch die Über­set­zung 'Schwarm­fi­nan­zie­rung' wird der Blick auf wesent­li­che Merk­male des Crowd­fun­ding verstellt.

Und außer­dem:

3. Muss man jedes eng­li­sche Wort krampf­haft eindeutschen?

Natür­lich nicht! Das gilt für Com­pu­ter, Coa­ching, Mar­ke­ting, Garage, Email, Pizza, Trend­set­ter, etc... genauso wie für Wörter latei­ni­schen Ursprungs, deren Benut­zung hin­ge­gen para­do­xer­weise weit­läu­fig als Zei­chen höhe­rer Bil­dung ange­se­hen wird. Allen voran natür­lich das in dem Kon­text inkon­se­quent ange­wandte Wort 'Angli­zis­mus'. (Ein Über­bleib­sel aus einer Zeit, in der der Klerus das Bil­dungs­mo­no­pol inne­hatte und die latei­ni­sche Spra­che diesem vor­be­hal­ten war.)

Im Eng­li­schen hin­ge­gen werden regel­mä­ßig deut­sche Wörter ganz selbst­be­wusst ein­fach über­nom­men. Von angst über deli­ca­tes­sen oder ganz neu ener­gie­wende bis zeit­geist. (Liste deut­scher Wörter im Eng­li­schen)

Es ist ein­fach nicht nötig, oft pein­lich und manch­mal inkor­rekt, jede neue Wort­schöp­fung mit noch einer neuen Wort­schöp­fung zu übersetzen.

Aber wenn es denn wirk­lich sein muss, dann besser: 'Kol­lek­tive Bereit­stel­lung von Mitteln'...

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