Deutsche Filme sind...
Gibt man bei Google 'Deutsche Filme sind' in die Suchmaske ein, schlägt Google folgende Begriffe zur Ergänzung* vor:

* Diese Vorschläge sind nicht etwa die Ansicht von Google, sondern bilden die Häufigkeit dieser Suchanfragen ab - und damit (in diesem Fall) die offenbar vorherrschende Meinung der Suchenden.
Der 'Deutsche Film' steckt in der Krise - heißt es seit Jahren immer wieder. Das scheinen die Kinozahlen zu belegen, das Defizit an internationaler Anerkennung, oder einfach der (subjektiv) gravierende Mangel an Qualität.
Ist das ein Problem?
Es gibt doch schließlich jede Menge ausländische Filme!
Die Filmkultur ist ein wesentlicher Bestandteil der Selbstreflexion eines Landes. Mit ihr zeigen wir uns der Welt, erklären und hinterfragen uns: So wollen wir gesehen werden, so werden wir wahrgenommen, so nehmen wir uns selber wahr.
schreibt Knut Boeser (Cicero). Selbstreflexion eines Landes - und die Mehrheit der Einwohner*innen beurteilt sich selbst als 'scheiße' und 'langweilig'.
Natürlich ist das ein Problem!
Ich bin kein Journalist, sondern Filmemacher und Produzent. Und ich habe mich hier mal an eine Zusammenfassung vieler verschiedener Blickrichtungen gewagt um mir einen Überblick zu verschaffen - in der Hoffnung, eine konstruktive Lösung zu finden, statt immer nur zu meckern oder alles schlechtzumachen. Einfach für mich selber, rein subjektiv, aber so sachlich und neutral es mir möglich ist. (Und nur ganz ganz wenig zynisch - versprochen!)
Wenn man das Publikum fragt
... werden oft die selben Attribute mit dem 'Deutschen Film' assoziiert: vorhersehbar, belehrend, billig, streberhaft, möchtegern-künstlerisch, unentschlossen, kompromisslerisch, 'typisch deutsch', die trostlose Machart und die papiernen Dialoge, die dämlichen Storys, die immer gleichen Besetzungen, die Totalredundanz der Drehbücher...
So wundert es nicht, dass die ersten Paar Seiten der oben genannten Google-Suche fast nur solche Links ausspucken:
- Das deutsche Kino ist in der Krise
- Warum, sind deutsche Film und Fernsehproduktionen so schlecht bzw. billig?
- Wie Fördergelder den deutschen Film ruinieren
- Schafft das Staatsfernsehen ab!
- Deutsche Filme sind scheiße
- sind deutsche Filme absichtlich so schlecht?
- Fluch des Staatsver(n)sehens
- Arbeitsmarkt Filmbranche „Reich wird man da nicht“
- Zur Misere des deutschen Kinos
- Miese Honorare bei TV-Produktionen
In Versuchen solche Annahmen zu entkräften, werden in Kommentaren immer wieder ganz konkret erfolgreiche deutsche Filme wie 'Metropolis', 'Nosferatu' oder 'Das Boot' ins Feld geführt. (Sorry, Leute! Der jüngste dieser Filme ist über 30 Jahre alt!) Lassen wir aber die Zahlen sprechen, ergibt sich eigentlich ein weit weniger düsteres Bild: DIE ERFOLGREICHSTEN DEUTSCHEN FILME SEIT 1968.
Es gibt also durchaus deutsche Filme, die (kommerziell und / oder kulturell) erfolgreich sind. Warum ist dann aber das Image des 'Deutschen Films' so schlecht?
auch Filmschaffende,
... vor allem Produzent*innen und Regiseur*innen sind zunehmend unzufrieden mit ihrer eigenen Arbeit und der ihrer deutschen Kolleg*innen. Die Frustration ist mehr als spürbar, wird aber nur selten offen ausgesprochen (dazu später mehr). Hier einige Ausnahmen:
Seit 15 oder wieviel Jahren schaue ich mir das an, und ich will einfach nicht mehr. Fahr zur Hölle, Berliner-Schule-Berlinale-Wettbewerbs-Kino, fahr endlich in den Abgrund, ruhe in Frieden und mach Platz für was neues.
... poltert Dietrich Brüggemann in seinem Blog-Post.
Der Ton der Filme scheint sich anzugleichen. In der Inszenierung regieren der flach gehaltene Ball, möglichst wenig Filmmusik und das Diktat von (oft grandioser) Authentizität in Schauspiel und Kameraführung. Im Einzelnen ist das imponierend – doch in der Menge ergibt sich ein irritierend monotoner Eindruck.
... drückt es Dominik Graf etwas vorsichtiger aus.
Dabei würde man ihnen gerne beweisen, dass wir es anders können und rennen weiter jeder für sich allein gegen diese Wände, bis wir frustriert zusammenbrechen.
... prognostiziert Jens Prausnitz uns eine düstere Zukunft.
Thilo Röscheisen relativiert im drama-blog.de, dass im Grunde ALLE Filme schlecht sind, überall auf der Welt.
(Nun, ja... der 'Deutsche Film' hat in D einen Marktanteil von unter 20%. Tendenz sinkend. DARAN können wir den 'Deutschen Film' doch zumindest im Vergleich zu ausländischen Filmen messen, oder?)
Und heute bringen die Amerikaner unsere Märchenstoffe als Fernsehserie wieder auf die Bildschirme, und wir dürfen nicht. Märchen? Fantasy? Nein, erlaubt ist nur das totgerittene Pferd der Krimis, jede Kleinstadt bekommt ihren Tatort-Komissar...
... bringt Jens Prausnitz das auf den Punkt. 'Totgerittenes Pferd' - ja, so fühlt es sich auch für mich an.
Wenn ich unter 4 Augen
... mit Produzent*innen spreche, offenbaren sich mir aber noch weit erschrenkendere Abgründe.
'Ich kann nicht mehr in den Spiegel schauen...'
'Ich möchte ein mal, ein einziges mal noch in meinem Leben einen Film machen, hinter dem ich wirklich stehe!'
'Ich hatte das perfekte Buch, das perfekte Team, die perfekte Besetzung. Alle waren glücklich. Dann kam der Redakteur...'
'Ich liebe dieses Buch, es ist das beste, das ich seit Jahren gelesen habe. Aber das kriege ich nicht an den Sendern vorbei.'
Natürlich würde niemand solche Aussagen öffentlich wiederholen - aus Angst vor den Sendern, aus Angst vor einem Quasi-Berufsverbot, wie Jens Prausnitz es wiederfahren ist, nachdem er sich kritisch geäußert hatte.
Stattdessen regiert die Angst den Mund auf zu machen, denn wer in der Branche als “schwierig” gilt, ist weg vom Fenster.
... beendet auch Jens Prausnitz seine potentielle Karriere als Filmschaffender. Egal, denn seine scharfsinnige und ehrliche Analyse deutscher TV-Serien 'Fluch des Staatsver(n)sehens' lässt vermuten, dass er daran sowieso nicht interessiert wäre.

Fangfrage:
Können unabhängige Produzent*innen in Deutschland unabhängig Filme herstellen?
Tip: Diese Frage werden wir natürlich im Laufe des Artikels beantworten! ;)
... niemand in der Branche heute hat weniger Möglichkeiten und Einfluss, niemand ist abhängiger von den Verwertern, den Förderern und dem Fernsehen als die unabhängigen deutschen Kinofilmproduzenten.
... bestätigt Martin Hagemann in seiner Analyseunsere Vermutung.
Offenbar treten Produzent*innen aber auch nach unten aus in der Hackordnung und legen dieses Zensur-Halsband der Sender und Verwerter auch ihren Autoren an, wie wir dem Insider-Bericht von Drehbuchautor Markus Stromiedel entnehmen:
Widerspruch lohnt sich nicht. Zweimal in zehn Jahren habe ich es mit Nachdruck versucht, und nach langen Auseinandersetzungen entstanden gute Bücher für sehr erfolgreiche Filme. Aber danach galt ich als schwieriger Autor – und wer möchte schon mit schwierigen Autoren zusammenarbeiten? Ergebnis: kein weiterer Auftrag.
Tja, wer möchte gute Bücher für sehr erfolgreiche Filme? ...
Woran liegt's?
Der 'Deutsche Film' steckt also in der Krise, doch es herrscht einige Unklarheit über die Ursachen. Zur Auswahl stehen, je nachdem, wen man fragt:
Hölzern langweilige Schauspieler*innen!?
Da das durchschnittliche Film-Publikum kaum über detaillierte Kenntnise der Filmherstellung verfügt, werden in Foren und Kommentaren zum Thema 'Deutscher Film' oft nur die Schauspieler*innen für die schlechten Filme verantwortlich gemacht, sind sie doch die einzigen Filmschaffenden, denen man im Film (scheinbar) direkt bei der Arbeit zuschauen kann.

Doch ist schlechtes Spiel tatsächlich zwangsläufig durch mangelndes Talent oder schlechte Ausbildung verursacht? Natürlich nicht! Denn mit einiger Regelmäßigkeit dürfen deutsche Schauspieler*innen in ausländischen Produktionen zeigen, wozu sie in Wahrheit in der Lage sind. Beispiel: 'Inglourious Basterds':
Dieser amerikanische Film warf eben auch die Frage auf, warum es keine deutschen Filme gibt, in welchen Diehl und Brühl, Waltz und Schweiger eine ähnlich gute Figur machen dürfen.
... stellt die FAZzurecht fest.
Fangfrage: Warum ist in deutschen Filmen gutes Spiel nicht möglich??

Deutsche Schauspieler*innen selber beschweren sich sehr oft - und zurecht - über:
Langatmige, schmerzhaft fantasielose Drehbücher!?
Für einen guten Film benötigt man drei Dinge :
1. Ein gutes Drehbuch.
2. Ein gutes Drehbuch.
3. Ein gutes Drehbuch.
(Billy Wilder)
Es dürfte wohl keine professionellen Filmschaffenden geben, die dieses Zitat nicht während ihrer Ausbildung auswendig lernen mussten. Dennoch:
Es gibt zu viele nicht zu Ende entwickelte Drehbücher, es gibt zu wenige wirklich gute Autoren.
... findet Hans-Christian Schmid in der FAZ. Schauen wir doch mal, woran das liegen könnte:
Nicht das Unerwartete wird gesucht, sondern das Vertraute, das Gewohnte, zwar in stets neuem Gewand, im Kern aber gleich. Nicht Neugier und Wagemut bestimmen das Handeln, sondern der Wunsch, einen kreativen Prozess fest im Griff zu haben, von der Idee bis zum fertigen Produkt.
... beschreibt Drehbuchautor Markus Stromiedel die Ansprüche der Redakteure an einen Stoff.
August Diehl träumt noch in der FAZ:
Ein gutes Buch, ein einziges gutes Buch im Jahr: das sei sein Wunsch - nicht zwanzig Bücher im Postfach. Das eine Buch, an dem alles stimme. ...
Doch was zunächst wie der nachvollziehbare Wunschtraum eines jeden Schauspielers klingt, weist dann doch schnell in eine andere Richtung:
... Das Buch, das dann nicht den Weg so vieler deutscher Drehbücher ginge, welche von jedem, der am Finanzierungs- und Produktionsprozess beteiligt sei, modifiziert, kommentiert, verändert werden - bis aus dem guten Buch ein verwässertes, verharmlostes Buch geworden ist: ein schlechtes Buch.
(August, wenn du das liest, ruf mich bitte an, ich hab da vielleicht was für dich!)
Es sind offensichtlich gar nicht die angeblich schlechten oder fehlenden Autoren das Problem.
Fangfrage: Wieso hat ein Schauspieler im Jahr 20 Drehbücher im Postfach und andere (mindestens gleich talentierte und gutaussehende) Kollegen kein einziges?
Ok, Schwamm drüber. Schauen wir doch erst einmal, wer da in diesem Finanzierungs- und Produktionsprozess die Bücher 'verwässert', und warum. Ist vielleicht nicht genug Geld da? Hört man ja zur Zeit allenorts... Wie steht's denn in Deutschland um die
Produktionsbedingungen?
Einmal dürft ihr raten. Mehr können wir uns nicht leisten.
Überlange Arbeitstage, dauernde Erreichbarkeit, keine Zeit fürs Privatleben: Filmschaffende arbeiten an der Grenze zum Zusammenbruch.
... schreibt die TAZ.
... gab es früher für einen „Tatort“ 40 Tage Drehzeit, sind es heute höchstens 22, bei gestiegenen Ansprüchen.
veranschaulicht Regina Ziegler das Problem aus Produzentensicht mit konkreten Zahlen.
Man kann sich heute schon als erfolgreich bezeichnen, wenn man als Fernsehschauspieler auf ein Jahreseinkommen von 20.000 Euro und halbwegs passable Rentenansprüche kommt.
... sagt Heinrich Schafmeister ('Wilsberg') der FR. Und:
Die eigentliche Arbeit eines Schauspielers ist es, kreativ zu sein, aber da kommt man kaum noch zu. Man liefert dann nur noch ab. Deshalb will ich das auch nicht mehr.
... begründet Bjarne Mädel seinen Austritt aus der ARD-Serie 'Mord mit Aussicht'. (Mutig! Mal sehen, ob er jemals wieder für das deutsche Fernsehen arbeiten wird.)
Einen guten Überblick über die tatsächlichen Ausmaße dieses Problems kann man sich auch auf dieser Facebook-Seite verschaffen: Die traurigsten & unverschämtesten Künstler-Gagen & Auditionerlebnisse

Leider reden Produzent*innen und Filmschaffende nicht miteinander (darüber) und halten sich gegenseitig für raffgierig, ausbeuterisch, unverschämt... Viele Filmschaffende wehren sich (zurecht) gegen unmenschliche Arbeitsbedingungen, während die Alternative für die meisten Produktionsfirmen natürlich oft nur wäre, GAR NICHT zu drehen - und ihren Laden dichtzumachen.
Wie purer Hohn mutet in diesem Zusammenhang an, dass die Produzentenallianz kürzlich - scheinbar ernsthaft - in einer entsprechenden Presseerklärung die Ausnahme von Praktikant*innen vom Mindestlohn fordert. Und damit natürlich einen Shitstorm provoziert hat. (Auch wir haben dazu aufgerufen. :P)
Die Lösung erscheint einigen Produzent*innen offenbar darin, Arbeitskraft nicht zu bezahlen - STATT höhere Budgets zu beschaffen!!
Ähm... aber wieso das denn? Wir haben doch in Deutschland ein gut funktionierendes, durch
Steuergelder finanziertes Filmförder-System!?
Die Fördergelder reichen für die Produktion, das Gesetz schreibt keine Rückzahlung vor. Das Ergebnis: eine seltsame Gleichzeitigkeit von Selbstgenügsamkeit, Selbstverkennung und Hybris.
schreibt Christiane Peitz 'Zur Misere des deutschen Kinos' im Tagesspiegel.
Leider ist für deutsche Produzent*innen ein Film-Projekt in genau dem Moment wirtschaftlich erfolgreich, wenn die Finanzierung geschlossen ist, es hergestellt wird. Zu diesem Zeitpunkt haben sie bereits verdient, was sie an einem Film verdienen können. Tatsächlicher oder eben ausbleibender Erfolg in der Verwertung: irrelevant.
Es werden lieber viele Filme realisiert als gute. Masse statt Klasse.
Deutsche Kino-Betreiber, die diese Misswirtschaft durch Abgaben mitfinanzieren müssen, werden nicht müde, gegen das Förder-System zu klagen. Doch die Richter in Karlsruhe haben das FFG inzwischen bestätigt.
"Die Filmförderung hat den deutschen Film erst dahin gebracht, wo er heute ist",
... sagt der Produzent der Schimanski-Filme Georg Feil, um das Fördersystem zu verteidigen - und wirkt in unserem Kontext mit dieser Aussage unfreiwillig komisch. (Vielleicht sollte Herr Feil mal die Google-Suche bemühen, um herauszufinden, 'wo er heute ist', der 'Deutsche Film'?)
"Wenn die Beschwerdeführer sich hier durchsetzen, dann ist die Existenz der Filmförderungsanstalt beendet, und die deutsche Filmwirtschaft steht vor einem Scherbenhaufen"
... behauptet Günter Winands (Abteilungsleiter von damals noch Kulturstaatsminister Bernd Neumann) - völlig konträr zur offenkundigen Meinung vieler Filmschaffender, z.B. diesem Kommentarvon Christoph Heckenbücker:
Dabei ist diese strukturverschuldete Unmündigkeit im Dreieck Fernsehen, Filmförderung und Politik im FFG (Filmförderungsgesetz) weiter zementiert und wird sich nicht lösen lassen.
... oder dem Artikelvon Thomas Frickel:
Da sinken die Finanzierungsanteile des Fernsehens an manchen Kinoproduktionen ins Bodenlose, und was die Sender in die Filmförderung der Länder einzahlen, ist ein Bruchteil des Programmwerts, den sie aus dem Durchlauferhitzer Filmförderung herausholen. Das mag ein Geschäftsmodell sein - eine richtige Förderung ist es nicht.
Logische Konsequenz:
Das System kann nur implodieren, wenn es sich nicht für Innovation öffnet.
... sagt Lars Henrik Gass in einer spannenden Diskussion über das deutsche Film-Fördersystem. Das 'System' ist aber maßgeblich festgelegt durch das FFG, und das wurde wie gesagt neulich erst von Verfassungsgericht bestätigt.
Dazu kommt, dass der neugewählte FFA-Präsident Bernd Neumann in seinem ersten Interview eine größere Novelle ausschließt:
Der Entwurf für das nächste FFG muss bereits in etwa zwei Jahren vorliegen. Schon aus diesem Grund darf man kaum erwarten, dass das System grundlegend auf den Kopf gestellt wird, das wäre in dieser Zeit gar nicht denkbar. Und warum sollte man es auch in seinen Grundfesten ändern? Das wäre doch geradezu abenteuerlich angesichts der Tatsache, dass es gerade erst vollumfänglich bestätigt wurde.

Bernd Neumann ist auch im Vorstand der Produzenten-allianz und hat ARD-Intendantin Karola Wille zu seiner stellvertretenden Verwaltungsrats-Vorsitzenden wählen lassen.
Soviel zum Thema Innovation.
Aber Moment mal: ich höre und lese immer 'Sender' hier, 'Redakteure' dort, und jetzt 'ARD-Intendantin' - gibt es etwa in Sachen Kinofilm-Produktion eine
Massive Einflussnahme durch Fernseh-Sender!?
Darüber geben die Mitarbeiter*innen der Filmförder-Institutionen ganz offen Auskunft. Einfach mal anrufen und nachfragen! ;)
Fangfrage: Kann ein Produzent in Deutschland Filmförderung für einen Kinofilm erhalten ohne einen Fernseh-Sender im Boot?
Regisseur und Produzent Thomas Frickel beleuchtet dieses Problem sehr ausführlich in seinem Artikel 'Sie pressen den Film in ihr Format' - und Udo Reiter, Gründer und Intendant des MDR, streitet in seiner Antwort auf diesen Artikel 'Ohne das Fernsehen ist der Film verloren' alles ab, was Produzent*innen im Umgang mit den Sendern täglich erleben.
Udo Reiters Vorschlag:
Niemand hindert Herrn Frickel daran, unabhängig vom Fernsehen einen Kinofilm zu produzieren und zu vermarkten. Das geschieht weltweit jeden Tag.
... ist mit diesem Hintergrund an Dreistigkeit kaum zu übertreffen. Was weltweit jeden Tag geschieht, ist in Deutschland nur in extremen Ausnahmefällen möglich.
Und außerdem hat der 'Filmintendant der ARD' offenbar noch nichts von den 'Geschmacksvorgaben' gehört:
„In der Besprechung hat die Geschichte wohl allen gefallen“, sagt de Paoli. Trotzdem erhielten die Filmemacher eine Absage. Der Stoff sei „nicht mit den öffentlich-rechtlichen Geschmacksvorgaben vereinbar“.
... lesen wir im Handelsblatt.
Fangfrage: Öffentlich-rechtliche WAS??
Öffentlich-rechtliche Geschmacksvorgaben. (Offenbar verbieten die Geschmacksvorgaben aber leider NICHT das tweeten von anti-islamischen Witzen vom offiziellen MDR-Account aus.)
Autor*innen wird das Lied der Geschmacksvorgaben regelmäßig von ihren Produzent*innen vorgesungen, die in vorauseilendem Gehorsam verzweifelt darum werben, eine Art Selbst-Zensur vorzunehmen und den Sendern um Himmels willen zu liefern, was sie haben wollen.
Ok. Wenn es ein Projekt dann aber durch die Geschmacks-Schleusen geschafft hat, haben die Künstler*innen doch aber volle Kontrolle über die Gestaltung ihres Werkes, richtig? Leider nein:
Auch während der Produktion haben die Redakteure maßgeblichen Einfluss auf die Filme. „Sie reden beim Drehbuch mit, beim Casting und später beim Schnitt – obwohl sie als Festangestellte kein wirtschaftliches Risiko tragen“, sagt Morales. „Ein Produzent wird so zum Vasall eines Fernsehsenders.“
... lesen wir weiter im Handelsblatt.
Das erklärt einiges.
Das Fernsehen mischt und produziert mit, trimmt Projekte auf Konfektionsmaß und erfüllt seinen Kulturauftrag erst ab Mitternacht...
... urteilt auch der Tagesspiegel. Und weiter:
Schon die Kino-Trailer zeigen: Deutsche Filme tragen ihre Themen wie Demo-Banner vor sich her, versprechen Botschaften statt Geschichten.
Stop! Wessen Botschaften?? Die Programme politischer Parteien? Die 'Öffentlich-Rechtlichen' sollten eigentlich wirtschaftlich und politisch unabhängig sein. Ersteres ist jedenfalls durch entsprechende Zwangsabgaben mehr als ausreichend sichergestellt.
Doch dass Letzteres tatsächlich NICHT der Fall ist, rügte erst kürzlich das Verfassungsgericht!
Urteil in Karlsruhe: 'die Politik muss ihren Einfluss auf das ZDF beschränken'.
Reaktion des ZDF-Fernsehrats: 'die Zahl der Politiker im ZDF-Fernsehrat bleibt vorerst bestehen'.
Das Fernsehen ignoriert das Verfassungsgericht.
Infolgedessen ist das öffentlich-rechtliche System immun gegen Kritik von außen. Es gleicht einer riesigen Behörde, die keiner gewählt hat und die keiner verändern, geschweige denn abschaffen könnte.
... schreibt Ulrich Greiner (Herausgeber des Magazins ZEITLiteratur).
Auf tagesschau.de kommentiert Michael Reissenberger vom SWR in dem Zusammenhang: Politik braucht mehr Einsicht!
Warum aber haben Fernseh-Sender solchen Einfluss auf Kino-Produktionen?
Durch Kompetenz gerechtfertig ist er jedenfalls nicht. Am treffendsten bringt Dieter Hildebrandt die Lage auf den Punkt:
Die Öffentlich-Rechtlichen machen sich in jede Hose, die man ihnen hinhält, und die Privaten senden das, was darin ist.
(Dieter Hildebrandt)
Jens Prausnitz hat für uns ergoogelt:
In den Redaktionen sitzen auch selten Leute, die einen Filmhintergrund, oder wenigstens Dramaturgie studiert haben. Sich da mal durch zu googeln, lässt die letzte Hoffnung auf eine tolle deutsche Serie in näherer Zukunft schwinden.
Dazu kommt, dass das Durchschnittsalter der öffentlich-rechtlichen Publikums über 60 Jahren liegt, das des Kinopublikums bei ca. 35 Jahren. (Kein Wunder, dass die Kinobetreiber klagen.)
Der Einfluss der Sender ist ganz offensichtlich unkonstruktiv. Die deutschen Sender haben schließlich keinerlei gestalterischen Einfluss auf ausländische Produktionen, für die sie Lizenzen erwerben. Diese Filme erzielen aber durchschnittlich deutlich höhere Quoten! (Quoten - jaja ich weiß. Aber die Sender messen Erfolg nun mal an Quoten.)
Es kann also kein wirtschaftliches Interesse dahinter stecken.
In einer 32-seitigen Analyse, die zur Zeit als PDF im Netz kursiert, geht ein Autor anonym ( bezeichnend, das Thema hatten wir weiter oben) der Frage nach, wieso es in Deutschland auch keine guten TV-Serien geben kann. Hier eine visuelle Zusammenfassung:
Da nun aber die Sender so übermächtig sind und auf der anderen Seite auch immer weniger Menschen ins Kino (bzw. deutsche Filme) gehen, könnte man doch auch auf die zunächst völlig absurd klingende, aber eigentlich nicht völlig von der Hand zu weisende Idee kommen, den Schwarzen Peter einfach weiterzureichen:
das Publikum ist Schuld!!
Und da die interessanteren, herausfordernden Filme fehlen, ist sie das Publikum auch nicht mehr gewöhnt: Gute Angebote nimmt es automatisch ab einem bestimmten „Point of no return“ gar nicht mehr an. Die Flops bestätigen dann wiederum die kritische Haltung der „Old-school“-Industrie gegenüber experimentelleren, herausfordernden Stoffen. Ein Teufelskreis.

... schwarzmalt Martin Hagemann in seiner Analyse.
Diese Banausen würden gute Filme wirlich nicht erkennen?
Hmm... einen kleinen Haken hat diese These: Das Publikum erkennt offensichtlich gute ausländische Filme! Die 'interessanteren, herausfordernden Filme' fehlen eben nicht!
Ok, das Publikum ist natürlich nicht Schuld an der Qualität der Filme. Da würden wir es uns ZU einfach machen!
Schlussfolgerungen
Dem 'Deutschen Film' geht's schlecht, die Lage scheint verzwickt. Das Problem lässt sich aber im Großen und ganzen darauf reduzieren, dass die Sender die Branche kontrollieren - und zwar durch die Zugangsvoraussetzung zur Filmförderung von der Auswahl und Bearbeitung der Drehbücher, über die Besetzung, die Wahl der Regisseur*innen, der Musik, bis hin zur Endfassung.
Der Einfluss der Sender bricht dem Kino das Genick - und die Sender WISSEN das:
Ich glaube... wir können uns gar nicht mehr so viel selber helfen. Ich glaube, man muss uns von außen... dazu zwingen. [lacht bitter]
(Barbara Buhl, Leiterin der Programmgruppe Fernsehfilm und Kino, WDR - im Interview in der WDR-Doku 'Es werde Stadt - 50 Jahre Grimme-Preis in Marl' von Dominik Graf und Martin Farkas)
^^ Wie krass ist DAS denn??
Von alternativen Erzählformen (transmedia storytelling, mobile content, web 2.0, etc.) können wir in Deutschland (noch) sowieso nur träumen. Und das, obwohl die Mehrheit der Deutschen überhaupt kein Fernsehen schaut! Mit Aussterben der Hauptzielgruppe der Sender (Ü60) wird es ohnehin spätestens in 10 Jahren kein Fernsehen mehr geben, wie wir es kennen - redigierte Programme, die dem Publikum vorgesetzt werden ohne wirkliche Wahlmöglichkeit, also nach dem Motto 'Essen was auf den Tisch kommt'. Bis dahin werden die Zuschauerzahlen und damit die Budgets immer weiter sinken!
Bis schließlich die Ameisen das Rennen machen:

Hopfen und Malz
... sind aber dennoch nicht verloren, wenn man den vielen Stimmen glaubt, die dazu aufrufen, die Flinte wieder aus dem Korn zu holen.
Martin Hagemann kommt zum Beispiel - ungeachtet seiner vielen Schwarzmalerei - zu dem konkreten Schluss:
Erst wenn die Kreativen und Produzenten dabei nicht von Gremien und Redaktionen abhängig sind und die Entscheidung und das Risiko der Stoffauswahl selbst tragen, hat der deutsche Film auch beim Publikum und den internationalen Festivals wieder eine Chance. Weil ein solcher Film dann wieder etwas zu sagen hätte. Weil er riskanter wäre als alles, was man im Moment zu sehen bekommt im deutschen Kino. Und weil sich das Risiko wieder lohnen würde, abseits der nur-kommerziellen Strecke zu denken und zu produzieren.
Auch Stefan Arndt sieht eine kämpferische Lösung:
Wir müssen miteinander reden, wir müssen miteinander streiten. Mit dem ewigen ,Ich bin okay, du bist okay' kommt man jedenfalls keinen Schritt weiter.
Drehbuchautor Markus Stromiedel glaubt, wenn nur die richtigen Leute zusammenkommen...:
Es könnten Dinge entstehen, die wir nicht erwarten, es könnten Filme und Serien realisiert werden, die uns von den Socken hauen. Es müsste nur – so wie in den Vereinigten Staaten – die Bereitschaft geben, Autoren Verantwortung zu überlassen. Und es bräuchte den Mut, Projekte an den Start zu bringen, die anders sind als das, was bisher erfolgreich war.
Auf gar keinen Fall aber dürfen wir bei all dem unseren Humor verlieren. Die FAZ macht's vor mit 'Noch blödere Ideen für noch blödere Filme', z.B.:
„FDP - Frauen, Deppen, Politik“
(Feminismusdrama, D, 90 Min.)
Rainer Hunold als Rainer Brüderle
Thekla Carola Wied als Angelika Brüderle
Christine Neubauer als Laura Himmelreich
Mein Fazit
Nicht alle 'Deutschen Filme' sind schlecht. Aber fast alle 'Deutschen Filme' sind deutlich schlechter, als sie sein könnten.

Was können wir besser machen?
Wir unabhängigenProduzent*innen müssen unabhängig von Gatekeepern (Gremien und Redaktionen) produzieren können.
Produzent*innen und Filmschaffende sollten unbedingt zusammenhalten und offen miteinander reden!
Wir müssen die Möglichkeiten nutzen, die das Internet und damit verbundene Veränderungen mit sich bringen. Sehgewohnheiten, Konsumverhalten, digitale Distribution, Kommunikation mit der Zielgruppe... all diese Bereiche sind massiv und irreversibel durch den technischen Fortschritt der vergangenen Jahre verändert worden. (Und das ist GUT!!)
Wir dürfen von alternativen Erzählmethoden nicht länger nur träumen! Wir sollten nicht warten, bis es endlich eine Förderung für 'Digital Content' gibt, sondern alternative Finanzierungswege gehen.
Ein mächtiges Werkzeug, das uns da zur Verfügung steht: Crowdfunding!
Wie Crowdfunding auch für größere Film-Produktionen konkret funktionieren kann und was dabei aber regelmäßig falsch gemacht wird, bzw. warum es erst gar nicht ernstgenommen wird, lest ihr hier!
Wer diese Entwicklungen nicht intelligent adaptiert, wird weiterhin verdutzt den sich im Sturzflug befindenden Budgets hinterherschauen und gemeinsam mit dem TV untergehen!
Die Film-Verwerter brauchen UNS
... und unsere Filme! Erst wenn wir uns weigern, Handlanger einer destruktiven Förderungs- und Verwertungspraxis zu sein, wird der 'Deutsche Film' wieder werden, was er einmal war - und wieder sein könnte! Nur WIR, die Produzent*innen können und müssen diese Zustände ändern! Die Verwerter brauchen Content - den WIR ihnen liefern. Jetzt zählt 1 und 1 zusammen!
Wenn ich in 10 Jahren bei Google eingebe
'Deutsche Filme sind', möchte ich, dass Google folgende Begriffe ergänzt:
Toll, Kult, innovativ, inspirierend, spannend...
Welche Begriffe wünscht IHR euch? Bitte unten einen Kommentar schreiben! :)
Danke! Danke! Danke! Danke!
Bitte! Macht das, ihr Kreativen der Filmbranche. Haut ein geiles Konzept für einen Film oder eine Serie raus, am besten aus dem Bereich Phantastik (womit die Amerikaner das meiste Geld verdienen, und das in Deutschland aufgrund der Vollhonks bei den Sendern gar nicht geht), macht ein Crowdfunding und lasst die Sender am ausgestreckten Arm verhungern. Es geht. Ganz bestimmt. Es muss einfach nur ein geiles Konzept sein und es muss sexy verkauft werden. Dann spenden die potentiellen Zuschauer. Und beschränkt euch nicht auf den schofeligen Deutschen als Zielgruppe. Denkt international. Bittebittebitte! Ich kann das Elend im Fernsehen und Kino nicht mehr sehen!
super beitrag! da hat man richtig lust, sich zum ziel zu setzen, auf abhängig machende förderungen zu verzichten. was aber in dem system schwierig wird, weil man dann große investoren braucht, zumindest am anfang. ob crowdfunding noch so funktioniert wie in den anfangszeiten von kickstarter (wo für internationale projekte zwischen 100.000 und 5mille noch ne gewisse erfolgs-wahrscheinlichkeit da war) bezweifel ich ein bisschen, aber mal sehen, was in dem verlinkten artikel so steht.
Hey, guter Beitrag. Du hast auf jeden Fall mit vielen Dingen Recht und es ist wichtig mal über diese "Förderprogramme" zu diskutieren. Auf der anderen Seite klingt es so, als würdest du dich ein bisschen zu sehr aufregen. Heutzutage kann man mit viel weniger Geld schon tolle Sachen produzieren und auf Plattformen für viel mehr Leute zur Verfügung stellen. Das Problem ist meiner Meinung nach auch die Sprache. Englische Filme erreichen ein viel viel viel größeres Publikum. Zudem entspricht der Filmgeschmack der Deutschen auch oft nicht gerade dem in anderen Ländern. Wie du ja schon geschrieben hast, setzt man lieber [...]
Toller und sehr umfassender Artikel. Leider wurde aber ein Aspekt vergessen, es gibt durchaus die risikofreudigen Produzenten in Deutschland, die es mit Crowdfunding (zum scheitern verurteilt) oder durch eigene Finanzierung bzw. risikofreudige Geldaufnahmen versuchen. Doch leider wird man sogar von den Kinos angelehnt, da man eben keine halbe Million in Werbung investieren kann und die US Filme diejenigen sind in die das Publikum geht. Ich habe jetzt meinen 2ten Film selbst realisiert, nach dem ersten kräht trotz sozialkritischer Unterkomponente kein Hahn mehr und ich kenne einige sehr hoffnungsvolle Nachwuchsproduzenten die nach den ersten Misserfolgen sich lieber einen Angestelltenjob suchen, verständlich. [...]
Was ich mich frage: WILL man* überhaupt gute, deutsche Filme? Ist man bereit, dafür was zu riskieren?
Oder will man* einfach alles wie gehabt?
*Ob mit "man" die Zuschauer, Produzenten, Drehbuchautoren, Geldgeber usw. gemeint sind, ist Teil der Überlegung ...